OGH: Schmerzensgeld auch ohne körperlichen Schaden?

Bei der Herzoperation passierte ein Missgeschick: Die Spitze einer Präparierschere brach ab und rutschte in eine Vene des Patienten. Dort ist sie auch geblieben. Seinen Gesundheitszustand hat das nicht beeinträchtigt, dennoch forderte der Mann vom Hersteller Schmerzensgeld wegen psychischer Belastung.

Der zumindest einen Zentimeter lange Fremdkörper verursacht keine Schmerzen, wirkt sich nicht auf den allgemeinen Gesundheitszustand aus und führt auch zu keiner psychischen Beeinträchtigung. Ausgeschlossen ist auch, dass die Spitze der Schere im Körper des Patienten wandert. Daher war aus medizinischer Sicht davon abzuraten, den Fremdkörper risikoträchtig zu entfernen.

 

Patient seit Operation „psychisch extrem belastet“

Der Patient forderte nun vom Hersteller der Spritze seelisches Schmerzensgeld und stützte sich dabei auf das Produkthaftungsgesetzt (PGH). Seit der Operation sei er psychisch extrem belastet und lebe in ständiger Angst, die Spitze könnte wandern oder auch unabhängig davon Schaden anrichten und seinen Tod herbeiführen.

Der Hersteller argumentierte, die Scherenspitze verursache beim Kläger keine psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert. Eine sonstige psychische Alteration ohne Krankheitswert sei nur bei einer Körperverletzung abzugelten.

Körperverletzung oder nicht?

Der Oberste Gerichtshof (4 Ob 48/16m) sprach dem Kläger ein Schmerzensgeld von 5.000 Euro zu. Als Folge einer Körperverletzung seien auch seelische Schmerzen ersatzfähig. Dabei komme es nicht darauf an, ob ein eigenständiger Leidenszustand von Krankheitswert vorliegt oder an eine ärztliche Behandlungsbedürftigkeit besteht.

Unter einer „Verletzung an dem Körper“ (§ 1325 AGBG) sei jede Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheit und Unversehrtheit zu verstehen. „Auch ärztliche Eingriffe sind Körperverletzungen, wenn sie negative Folgen zeitigen. Eine äußerlich sichtbare Körperverletzung muss nicht vorliegen“, heißt es im Urteil. Bei den Sorgen des Klägers handle es sich daher nicht um psychische Beeinträchtigungen, die bloß in Unbehagen und Unlustgefühlen bestehen, sondern vielmehr um die nachvollziehbaren seelischen Folgen einer Körperverletzung im Sinne des § 1325 ABGB.